Mittwoch, 29. April 2015

Wiener Notquartiere für 500 Obdachlose schließen


Mit 30. April endet das diesjährige Winterpaket der Wiener Wohnungslosenhilfe. Wie jeden Winter haben die Sondermaßnahmen das Ziel, dass in Wien niemand bei Eis und Schnee die Nacht im Freien verbringen muss. Seit Anfang November wurde die Anzahl der Notschafplätze je nach Bedarf kontinuierlich aufgestockt. Zu Spitzenzeiten standen im vergangenen Winter zu den 300 ganzjährig bestehenden Notschlafplätzen rund 550 zusätzliche Schlafplätze für Männer und Frauen zur Verfügung. Auch Menschen ohne Sozialanspruch in Wien können diese von der Stadt geförderten Plätze im Winter nutzen. Die Auslastung stieg während der Wintermonate an und ging im Frühling erwartungsgemäß wieder zurück. Insgesamt stellte die Stadt Wien für das Winterpaket rund 3 Mio. Euro zur Verfügung.

"Die Erfahrung der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass viele Menschen, die das Winterpaket nutzen, im Frühling in ihre Heimat zurückkehren. Das sind aber nicht nur die Nachbarstaaten, sondern auch die benachbarten Bundesländer", betont Anita Bauer, Leiterin des Fachbereichs Betreutes Wohnen beim Fonds Soziales Wien und verantwortlich für das Winterpaket der Wiener Wohnungslosenhilfe. "Das Winterpaket hat erfolgreich verhindert, dass Menschen auf der Straße erfrieren", so Anita Bauer. Während des Winters wurden auch die Personalressourcen in Beratungs- und Betreuungseinrichtungen ausgebaut. Alle Maßnahmen werden vom Fonds Soziales Wien mit den Partnerorganisationen Wiener Rotes Kreuz, Caritas, Samariterbund Wien und "wieder wohnen" abgestimmt, koordiniert und gefördert. Viele Personen, die das Winterpaket nutzen, sind vor allem auf Arbeits-bzw. Perspektivensuche. "Daher finanziert der Fonds Soziales Wien zusätzlich auch die Sozial- und Rückkehrberatung der Caritas, deren Förderung sie vor kurzem verdoppelt hat", ergänzt Bauer.

Die Stadt Wien wendet für die Wohnungslosenhilfe jährlich über 50 Millionen Euro auf. Finanziert werden damit rund 5.000 Wohn- und Schlafplätze in 90 Einrichtungen, aber auch Beratungseinrichtungen, Tageszentren und Straßensozialarbeit. "Erst kürzlich haben wir zwei neue Tageszentren beim Hauptbahnhof und beim Praterstern eröffnet, die das ganze Jahr über Beratung und Betreuung anbieten. Bis zu 100 Personen können dieses Angebot zeitgleich in Anspruch nehmen", so Anita Bauer.

Ziel aller Angebote der Wiener Wohnungslosenhilfe ist die (Re-)Integration in die eigene Wohnung bzw. - wenn dies nicht realistisch ist - die Vermittlung in Einrichtungen des "sozial betreuten Wohnens". Dieses Angebot richtet sich an (ehemals) obdachlose Menschen und ermöglicht ihnen ein langfristiges, eigenständiges Wohnen mit Betreuung. "Die Praxis zeigt: Eine Integration in den ersten Wohnungsmarkt kann nur über eine Aufenthaltsverfestigung stattfinden, nicht über Nachtquartiere", erklärt Bauer abschließend.





Irene Brickner und Oona Kroisleitner
30. April 2015, 05:30

Die im Dezember gestartete Kältehilfe für rund 500 Obdachlose in Wien läuft aus. Viele bedürftige Personen werden wieder auf der Straßen landen

Wien – Roman lebt seit über zwei Jahren auf der Straße. "Wenn es nicht regnet, bin ich im Park", erzählt der 44-Jährige. Bei Schlechtwetter verbringt er seine Zeit in Bahnhofshallen oder Tageszentren. Der gebürtige Deutsche ist einer von 500 Menschen, denen die "Kältehilfe" der Stadt Wien in den vergangenen Monaten zugutegekommen ist. Seit Dezember hatte er durch sie einen Schlafplatz in einem Notquartier in der Wiener Grillgasse. Am Donnerstag laufen die zusätzlichen Mittel aus.
"Wir gehen davon aus, dass die Menschen auf der Straße landen", sagt Markus Reiter, Geschäftsführer der Obdachlosenorganisation Neunerhaus. "Es passiert Ende April nur, was jedes Jahr passiert: Die Winterhilfe läuft aus", sagt Peter Hacker, Geschäftsführer des Fonds Soziales Wien: "Die Betroffenen wissen es längst. Es gab und gibt Rückkehr- und Integrationsgespräche mit Sozialarbeitern."
Von den 500 Leuten in den Zusatzquartieren seien 150 bereit, in ihren Heimatländern (Slowakei, Rumänien, Deutschland) einen Wiederanfang zu starten. "Sie haben Rückfahrttickets bekommen", sagt Klaus Schwertner, Generalsekretär der Wiener Caritas.

Wunsch nach Ausgleichsgeld

Dass durch das Ende der Kältehilfe mehr Obdachlose in den Wiener Parks übernachten werden, kann sich Hacker nicht vorstellen.
Die Kältehilfe nutzt vor allem in Wien lebenden Obdachlosen aus dem EU-Raum oder anderen österreichischen Bundesländern, für die die Wohnungslosenhilfe der Stadt Wien nicht zuständig ist. "Um die Situation der Obdachlosen aus anderen Bundesländern zu lösen, braucht es dringend eine Art des Finanzausgleichs", sagt Schwertner.
Durch die Unterstützung bekommen Obdachlose über den Winter einen Platz in einer Notschlafstelle. Einlass ist jeden Tag um 19 Uhr. Es gibt Essen und Aufwärmmöglichkeiten. Um sechs Uhr werden die Besucher geweckt, eine Stunde später verlassen sie das Quartier. "Die Winterhilfeplätze haben das Ziel, zu verhindern, dass Menschen auf den Straßen erfrieren", sagt Hacker. Die normale Obdachlosenhilfe solle Menschen wieder fähig machen, eine Wohnung zu finden.

Forderung nach Jahreshilfe

"Ich treffe Freunde und verbringe mit ihnen meine Zeit, der Tag vergeht eigentlich sehr schnell", erzählt Roman. Mit der Kälte gehe es schon irgendwie. Dass die Notversorgung mit Ende April ausläuft, kritisiert Reiter: "Es geht hier um Menschlichkeit und darum, Menschenleben zu retten." Das Neunerhaus, das selbst betreutes Wohnen und Übergangswohnungen für Obdachlose anbietet, fordert daher den Erhalt der zusätzlichen Notschlafstellen über das ganze Jahr. Das in Wien geltende Kampierverbot macht Reiter ebenfalls Sorgen: "Die Situation der Wohnungslosen wird dadurch noch prekärer gemacht, sie werden von ihren Schlafplätzen vertrieben und bestraft."
Wien gibt jährlich 60 Millionen Euro für die Obdachlosenhilfe aus, "das ist im internationalen Vergleich vorbildlich", sagt Hacker. Um auf die Situation der Obdachlosen hinzuweisen, lädt die Obdachlosenzeitschrift Augustin am Donnerstag zum "Solischlafen im Stadtpark". Hacker ist von der Aktion wenig begeistert: "Die Probeübernachtungsaktion im Stadtpark ist politisch unerträglich." Neben Sozialorganisationen rufen etwa auch die grüne Gemeinderätin Birgit Hebein oder der Kabarettist Gerald Fleischhacker zur Übernachtung im Park auf. (Irene Brickner, Oona Kroisleitner, DER STANDARD, 30.4.2015)


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