Sonntag, 12. April 2015

Seniorenwohnungen der Stadt Wien gibt es nur mit Betreuungsbedarf

Seit 2012 müssen Pensionisten in Wien Pflegebedarf haben oder einen Grund anführen, um in städtische Seniorenhäuser ziehen zu können. Die Umstellung wurde nicht genug kommuniziert, kritisieren rüstige Alte.

Wien - "Vergnügt und geborgen wohnen." Das war der Leitspruch, mit dem noch bis vor einigen Jahren für Wohnungen in städtischen Pensionistenheimen in Wien, den sogenannten "Häusern zum Leben", geworben wurde. Empfohlen wurde in einer Broschüre eine frühe Anmeldung. Auch der Einzugstermin sollte nicht zu lange hinausgezögert werden, "damit Sie unser vielfältiges Angebot an verschiedenen Aktivitäten lange genießen können" . Als ein Kriterium für die Aufnahme wurde genannt: ein "abgeklärter Gesundheitszustand, der einen Aufenthalt im Appartement zulässt".

Neues Konzept

Seit 2012 setzt die Stadt aber auf ein völlig neues Konzept bei der Vergabe von Wohnungen in Seniorenhäusern. Interessierte müssen seither bei der Antragstellung Pflegebedarf haben oder - wenn sie in keine Pflegestufe fallen - einen triftigen Grund für ihren Umzugswunsch nennen. Ein Beispiel: wenn sie in einer Substandardwohnung ohne Lift leben und das Stiegensteigen beschwerlich wird oder die Gefahr der Vereinsamung besteht. Der Wunsch, in ein Seniorenheim zu ziehen, um auch an altersgerechten Aktivitäten für rüstige Pensionisten teilnehmen zu können, reicht allein nicht mehr.
"Meinen Langzeitplan kann ich mir mit diesem politischen Paradigmenwechsel abschminken", sagt Peter Vaha, ein nach eigenen Angaben topfitter 70-jähriger Wiener Pensionist. "Ich wollte, wie einst meine Eltern, in einigen Jahren bei guter Gesundheit in ein Pensionistenwohnheim der Stadt übersiedeln. Das ist jetzt nicht mehr möglich."
Vaha versteht zwar die Notwendigkeit der Änderungen, Pensionisten mit Bedarf zu bevorzugen. Er kritisiert aber, dass das neue Konzept "heimlich, leise und für Betroffene weitgehend unbemerkt" umgesetzt wurde. "Meine zeitgerechte Anmeldung von 2006 für ein Seniorenheim ist nichts mehr wert."

Umstellung zu gerechterem System

Beim 1960 gegründeten Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser (KWP), das als gemeinnütziger, privatrechtlicher Fonds der Stadt die "Häuser zum Leben" betreibt, verweist man auf die Umstellung zu einem gerechteren System. "Es bekommen diejenigen Älteren zeitgerecht eine Wohnung, die Hilfe und auch finanzielle Unterstützung der Stadt benötigen", sagt Sprecherin Heike Warmuth. Das klassische Anmeldesystem - wer zuerst kommt, mahlt zuerst - hat ausgedient.
Die Anträge laufen seit 2012 über den Fonds Soziales Wien (FSW), der den Betreuungs- und Pflegebedarf samt Förderung feststellt. Der FSW hat laut eigenen Angaben vorgemerkte Personen wie Peter Vaha 2011 in einem Brief über die Änderungen informiert.
Der Umkehrschluss, dass für rüstige Pensionisten ohne Bedarf und mit vielen sozialen Kontakten nur der Umzug in zum Teil teure private Seniorenhäuser oder WGs bleibt, sei laut Warmuth nicht richtig. Denn die Mehrheit der Pensionisten wolle so lange wie möglich zu Hause wohnen. Die Stadt setze daher auf den Ausbau der mobilen Pflege. "Das Durchschnittsalter der Pensionisten in unseren Häusern beträgt Mitte 80. Heute ziehen sie ein, weil es nicht mehr geht. Und nicht, weil sie wegen einer Substandardwohnung umziehen müssen."

Derzeit genug Wohnplätze

In Wien werden derzeit rund 56.000 Menschen daheim betreut. Die Stadt bietet oder fördert rund 18.000 Pflege- und Wohnplätze. Im vergangenen Jahr wurden laut KWP in 30 "Häusern zum Leben" 8400 Pensionisten betreut. 1500 Bewohner davon benötigen keine Pflegebetreuung. Seit der Umstellung des Konzeptes 2012 sind rund 400 Pensionisten ohne Pflegebetreuung dazugekommen, sie konnten unter anderem soziale Gründe für ihren Einzug geltend machen.

Laut FSW sind die Seniorenwohnheimplätze derzeit ausreichend, die Nachfrage sei zurückgegangen. "Wir befinden uns in einer Delle. Es gibt bei uns Häuser, wo man aktuell rasch aufgenommen werden kann", sagt Warmuth. Ab 2019 wird ein starkes Ansteigen der älteren Bevölkerungsschicht prognostiziert. (David Krutzler, DER STANDARD, 11.4.2015)

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