Samstag, 4. April 2015

FCG - Gemeindebedienstete: Moralisierende Pensionssystem-Zombies wüten in der Presse

Wien (OTS) - Die Tageszeitung "Die Presse" widmet heute die Titelseite und zwei weitere Seiten dem österreichischen Pensionssystem. Die Schlagzeile dazu lautet "Pensionen fressen Steuerreform auf".
Michael Häupl kann brutal sein: Das bekam zuletzt nicht nur seine grüne Regierungspartnerin Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou beim Wahlrecht zu spüren. Liebster Außenfeind für den Wiener SPÖ-Bürgermeister ist derzeit Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP). Häupls unmissverständlich getrommelte Botschaft: Schelling solle „Wien gefälligst in Ruhe lassen“, wie er betonte. Unmittelbarer Anlass für die Auseinandersetzung: die Pensionen der Wiener Beamten (und deren Kosten) gingen aus Häupls Sicht den Finanzminister nichts an. Der Wiener Stadtchef wird schon seit Jahren nicht müde hervorzustreichen, er wolle Pensionseinschnitte der bei der SPÖ verhassten schwarz-blauen Bundesregierung, die bis Jänner 2007 im Amt war, nicht nachvollziehen. ÖVP und FPÖ haben 2004/05 nach harten Verhandlungen mit dem Sanktus der Beamtengewerkschaft unter anderem das schrittweise Auslaufen des Beamtenpensionsmodells für die Bundesbediensteten beschlossen. Wien hat hingegen nach wie vor ein günstigeres, weil mit längeren Übergangsfristen ausgestattetes Pensionssystem für seine Beamten. Für diese gilt auch erst seit Beginn dieses Jahres ein Pensionsalter von 65 Jahren wie für Beamte (Frauen und Männer) im Bundesdienst. Bisher sind alle Bestrebungen der ÖVP in der Bundesregierung, das Wiener Pensionsmodell rascher anzugleichen, am Widerstand von Häupls SPÖ zerschellt. Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) hat zwar Anfang 2014 deutliche Verschlechterungen für ASVG-Versicherte, Bauern und Gewerbetreibende eingeführt, Wiener Sonderrechte blieben jedoch aufrecht. Erst am vergangenen Samstag hat sich Hundstorfer, der selbst aus dem Beamtenapparat des Wiener Rathauses kommt, im ORF-Radio hinter die Wiener Sonderregelung gestellt, weil diese beispielsweise anders als im Bund keine Hacklerregelung beinhalte.
Faktum ist allerdings, dass der Rechnungshof schon vor Jahren vorgerechnet hat, dass die günstigere Regelung für die Wiener Beamten in Summe langfristig 350Millionen Euro an Mehrkosten verursacht. Für diese Privilegien dürfen letztlich alle österreichischen Steuerzahler im Wege des Finanzausgleichs, mit dem die Steuereinnahmen an Bund, Länder und Gemeinden zugeteilt werden, brav mitzahlen.
Es ist leider wieder einmal eine Kraut-und-Rüben-Zusammenstellung der ewig gleichen Halbwahrheiten zum Pensionssystem. Sich als kühl rechnende Expert/innen ausgebende Pensionssystem-Spezialist/innen argumentieren und moralisieren dabei stets nur in eine Richtung, nämlich in eine dem Geschäft der Versicherungen dienliche.
Kaum ist die "Steuerreform" - die im Wesentlichen eine Teilabgeltung der kalten Progression der letzten Jahre ist - in der Öffentlichkeit angekommen und erhält ein wenig Anerkennung, da ist sie auch schon geeignet, als Angstthema umgemünzt zu werden. Der Ökonom Dr. Ulrich Schuh rechnet vor, dass sich bis zum Jahr 2019 die Deckungslücke bei der Finanzierung der Pensionen um 4,9 Milliarden Euro erhöhen wird. Die inhaltlich völlig sinnbefreite Gegenüberstellung dieser Zahlen hat nur einen Zweck, nämlich Stimmung für Änderungen zu machen.
Dabei ist unstrittig, dass wir unser Pensionssystem klug an die sich verändernden Bedingungen anpassen müssen. Hier wurden in den letzten Jahren - auch in der Gemeinde Wien - schon einige Maßnahmen eingeleitet, von denen manche ihre Wirkung erst Schritt für Schritt entfalten. Mit klug meine ich beispielsweise, dass man die Perspektive der Jungen im Blick hat und langfristig vorsorgt, dabei aber auch bedenkt, dass man nicht für eine unbekannte Langfristperspektive jetzt ältere Menschen, die kaum mehr auf die veränderten Bedingungen reagieren können, massiv in ihrem Lebensstandard beschneidet.
Befremdlicher Weise wird oftmals so getan, als ob die jungen Generationen im Erwerbsleben in den nächsten Jahrzehnten keine Innovationen zusammenbringen werden, die Arbeitslosigkeit nicht veränderbar ist und sich gesellschaftliche Rahmenbedingungen nicht zum Besseren verändern können, wenn man sich dementsprechend engagiert.
Klug wäre es wohl auch, wenn man Gerechtigkeit nicht nur zeitlich nach vorne andenkt, sondern auch die Unterschiede der vergangenen Jahrzehnte mitberücksichtigt. In die Zukunft gleich zu behandeln, was in den vergangenen Jahrzehnten ungleich war, ist nicht gerecht, sondern ungerecht. Somit sollten bei Vergleichen verschiedener Systeme - wie etwa zwischen ASVG-Pensionen und Beamtenruhebezügen -die Lebensverdienstsummen und Leistungsaspekte mitverglichen werden, um zu seriösen Vergleichen kommen zu können.

Pensionssystem-Zombies

Die Metapher des Zombies hat der tschechische Ökonom Tomáš Sedláček jüngst in einem Buch verwendet, um darzustellen, dass die Ökonomie versuchte die Wirtschaft berechenbar zu machen, indem sie alles was sich auf moralische Werte bezog, oder irrational erschien, verbannte. Entwickelt wurde ein rationales - mathematisches - System, das in sich stimmig ist, in Wirklichkeit aber allen echten Fragen ausweicht, weil diese nicht berechenbar scheinen. In vielen gesellschaftlichen Institutionen führte dies dazu, dass sie eigentlich tot sind, weil sie das Lebendige nicht mehr verarbeiten können - es sind aber lebende Tote, weil sie mangels Alternativen weiter am Leben gehalten werden müssen.
Auf unsere Pensionssysteme übersetzt kann man sagen, dass viele Expert/innen aufgrund von fehlenden Daten vergangener Jahrzehnte, Transparenzdefiziten und extremer Komplexität näherungsweise Statistiken angefertigt haben, die bestenfalls Halbwahrheiten darstellen. Diese Halbwahrheiten werden den Halbwahrheiten anderer Länder gegenüber gestellt - und daraus werden Reformansätze abgeleitet. Dass sich hier dann auch verschiedenste Interessen in die politischen Verhandlungen zu Reformbemühungen einschleichen, ist unvermeidbare Realität - wird aber von den handelnden Akteur/innen meistens zu verschleiern versucht.
Wenn die "leblosen" Statistiken dann unentwegt in einen Zusammenhang mit dem angeblich nicht lebensfähigen System gebracht und ständig zu Ungerechtigkeits-Skandalen verzerrt werden, verlieren die Menschen das Vertrauen in das System und engagieren sich nicht mehr dafür -was im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung tatsächlich zum Kollabieren des Systems führen könnte. Da wir bis jetzt keine ernsthafte Alternative für einen sozial verträglichen und grundlegenden Systemwechsel erarbeitet haben und wir deshalb weiter tun müssen "als ob" es funktionieren würde, haben wir es hier mit einer Zombie-Institution zu tun.
Die "Expert/innen", die diesen Vorgang vorantreiben, könnte man der Metapher folgend dann als Pensionssystem-Zombies beschreiben. Sie verbeißen sich unentwegt in das System, bis das System selbst zu einem Zombie geworden ist.

Sind diese Expert/innen aber vielleicht doch keine Zombies?

Die Metapher der Zombies impliziert, dass nur mit "kalten" Daten bzw. Zahlen gearbeitet wird und alles Moralisierende, Weiche und Irrationale wegzulassen ist. Sieht man sich aber die Beiträge der Presse an, dann strotzen diese vor moralisierenden Aussagen. Die Wiener Beamten sind wie üblich die schlimmsten Privilegienritter. Es folgen die oberösterreichischen Landesbeamten, eigentlich auch die Bundebeamten, die Frauen, die Hacklerpensionist/innen und überhaupt alle die vor dem 65. Lebensjahr in den Ruhestand oder die Pension übergetreten sind, oder dies noch vor sich haben. All diese Privilegierten verkürzen in haltloser und verwerflicher Art und Weise den Jungen die Chance auf eine realisierbare Pension.
Im Mittelpunkt der drei Seiten in der Presse steht bezeichnender Weise ein Interview mit der Psychologin Brigitte Miksa, die ein Forschungszentrum des Allianz-Konzerns leitet. Die Allianz hat einen Nachhaltigkeitsindex zur Sicherheit der Pensionen erstellt, der -selbstverständlich - für Österreich einen hohen Reformbedarf aufzeigt. Sieht man sich die Grafiken an, dann kann man beispielsweise sehen, dass Mexiko sieben Plätze vor Österreich liegt. Als Pensionsantrittsalter werden für Mexiko 72,2 Jahre angegeben und in den Statistiken zu "staatlichen Pensionsausgaben in Prozent des BIP" und "Pension im Verhältnis zum Einkommen" scheint Mexiko gar nicht unter den angeführten 49 bzw. 44 Ländern auf.
Das heißt: Hohes Pensionsantrittsalter, kaum staatliche Ausgaben und sehr niedrige Pensionen - also ein wahres Eldorado für Versicherer. Wenn dies ein Beispiel für die Nachhaltigkeit unseres Pensionssystems sein soll, dann sollte sich die Allianz ihre Versicherungen an den Hut stecken - ein wahrlich passendes Beispiel für interessengeleitete Zombie-Methoden.
In einem anderen Beitrag wird wieder einmal versucht, uns das Automatismus-Modell Skandinaviens, Finnlands und Norwegens schmackhaft zu machen. Es scheint auf den ersten Blick so vernünftig zu sein, sich anhand von konkreten Daten leiten zu lassen und die Pensionshöhe automatisch an die absehbaren Entwicklungen der zunehmenden Lebenserwartung, der Entwicklung der Einkommen und der Beschäftigung zu binden.
Aber es gibt auch hier wieder problematische Nebenwirkungen. Nimmt man konkrete Menschen, bei denen mehrere negativ wirkende Aspekte wie z. B. Krankheiten, Teilzeitbeschäftigung Kindererziehungs-, Alleinerziehungs- und Schwerarbeitszeiten zusammentreffen und diese Menschen aus gesundheitlichen Gründen frühzeitig in die Pension gezwungen werden, dann müssen diese oftmals nach jahrzehntelanger Arbeit mit niedrigsten Pensionen auskommen. Werden diese Menschen dann auch noch von automatisch errechneten weiteren Minderungen der Pensionen getroffen, ist das schlichtweg unerträglich.
Mitunter beschleicht mich das Gefühl, dass es tatsächlich Pensionssystem-Zombies gibt, die absichtlich mit derartigen Effekten rechnen, da sie bei einer öffentlich wahrnehmbaren Anzahl von derart Betroffenen eine Abschreckungsqualität entwickeln können, die erwartbar hohe Effekte auf die Anhebung des durchschnittlichen Antrittsalters erzeugt.
Wenn wir aber mit unseren sozialen Sicherungssystemen so weit gekommen sind, dass wir sehenden Auges unsere Systemstabilität mit solchen Opfern erkaufen, dann wird mir angst und bang.
Es ist wichtig, dass Medien und Expert/innen nach Transparenz, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit unserer Sozialsysteme streben und kritisch bestehende Lösungen hinterfragen. Ich bin voller Ärger mit auf der kritischen Seite, weil vielfach geeignetere Vergleiche verhindert werden, indem Daten nicht offengelegt werden. Ebenso macht es mich ärgerlich, wenn in der Gemeinde Wien versteckt Personalabbau auf Kosten von Bediensteten stattfindet, weil diese "Frühpensionist/innen" hohe Abschläge in Kauf nehmen müssen. Und wenn dies - mit vielen anderen verzerrenden Aspekten - dann zu verfälschten Statistiken führt und "die Wiener Beamt/innen" dann wieder einmal das Etikett "Frühpensionistenparadies" angeheftet bekommen, dann ist mir mittlerweile nur mehr zum Kotzen.

Es muss doch möglich sein, unser System so weiterzuentwickeln, dass wir solidarisch Fehlentwicklungen und Ungerechtigkeiten korrigieren, ohne dass man mit Halbwahrheiten stets Feindseligkeiten und Neidgefühle schürt und Menschen in prekäre Altersarmut treibt.

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