Dienstag, 18. November 2014

Gemeindebau: Was lebt - und doch schon gestorben ist

Was ich ja an Wien besonders mag, das sind diese wunderbaren Widersprüchlichkeiten.


18.11.2014 | 18:52 |    (Die Presse)
Dass das Riesenrad nicht rund, sondern ein 30-Eck ist. Dass die Schnellbahn nicht schnell, die Straßenbahn nicht immer auf der Straße, die U-Bahn keineswegs durchgängig im Untergrund fährt. Oder dass der Lainzer Tiergarten nicht zu Lainz, sondern zur Katastralgemeinde Auhof gehört.
Diese Lust am Paradoxen erfährt derzeit reiche Befriedigung in der Werbekampagne, die Wien seit einigen Wochen mit Liebesbezeugungen für den Gemeindebau bestückt: „Mein Gemeindebau – liebenswert lebenswert“ lautet die frohe Devise, unter der man frohe Menschen mit frohen Blicken ins Plakat- oder Anzeigenbild rückt, um frohe Botschaften entsprechend froh unters Gemeindevolk zu bringen. Denn was hat er nicht alles zu bieten, „mein Gemeindebau“? „Gepflegte Grün- und Spielflächen für mehr Spaß und Lebensqualität“ beispielsweise. Oder „faire Mieten und hohen Mieterschutz für mehr Sicherheit im Leben“. Kurz: Nicht in der Hietzinger Villa, nicht im Penthouse am Graben, nein, im Karl-Marx-Hof, am Rennbahnweg, in der Per-Albin-Hansson-Siedlung müsste man sein!

Woran, für sich genommen, noch nichts Paradoxes ist. Dass alle Krämer, auch die städtischen, ihre Ware loben, ist hinlänglich geläufig, und so wird es niemanden überraschen, dass es eine Gemeindebau-Kampagne mit der Gemeindebau-Wirklichkeit nicht ganz genau nimmt. Paradox freilich ist es, wenn der Krämer ausgerechnet jenes Produkt, auf das er annonciertermaßen so große Stücke hält, mittlerweile selbst aus dem Sortiment genommen hat. Zehn Jahre ist es her, dass der letzte Gemeindebau bezogen wurde, in der Rößlergasse zu Liesing übrigens. Seither ist Gemeindebauruh über allen Wiener Wohnbaugipfeln. 

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