Sonntag, 2. November 2014

Die Richter haben ihr Gewissen entdeckt

Am 8.11.2007 verabschiedeten die österreichischen Richterinnen und Richter eine Ethikerklärung, die nach ihrem Entstehungsort als "Welser Erklärung" bezeichnet wird.
Die Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter hat im Jahr 2003 in Wels einen Diskussionsprozess eingeleitet, an dem sich österreichweit alle Richterinnen und Richter beteiligen konnten. In konsequenter Weiterentwicklung der Prinzipien der Salzburger Beschlüsse 1982 führte dies zu folgender Grundsatzerklärung, die am  8.11.2007 verabschiedet wurde:
WELSER ERKLÄRUNG

Die österreichischen Richterinnen und Richter erklären, sich in ihrem Handeln von folgenden ethischen Grundsätzen leiten zu lassen:
Art. I. Grundrechte:
Menschenrechte und Grundfreiheiten bilden die Basis unseres demokratischen Rechtsstaates. Als Garanten des Rechtsstaates orientieren wir unser Verhalten und unsere Entscheidungen an den Grundrechten. Wir treten jedem Versuch, die demokratische und rechtsstaatliche Grundordnung unserer Republik infrage zu stellen, entschieden entgegen.
Art. II. Unabhängigkeit:
Wir entscheiden ausschließlich auf der Grundlage des Gesetzes und unserer freien inneren Überzeugung. Wir weisen jede Art von ungesetzlicher Einflussnahme zurück. Einladungen oder Geschenke, die den Anschein erwecken, Abhängigkeiten zu schaffen, nehmen wir nicht an. Interventionsversuche legen wir offen. Richterliche Unabhängigkeit dient dem Schutz der Recht suchenden Menschen und darf niemals als Vorwand für Willkür oder geistig oder sozial abgehobenes Verhalten missbraucht werden. Bei der Auswahl und Beurteilung von Kolleginnen und Kollegen orientieren wir uns nach den Kriterien des Richterdienstgesetzes an deren fachlicher und sozialer Kompetenz und weisen jede Protektion zurück.
Art. III. Selbstverantwortung und Organisation:
Wir sind uns bewusst, dass die Entwicklung einer Richterpersönlichkeit nie abgeschlossen ist, sondern die stete Weiterbildung auf allen Gebieten der fachlichen und persönlichen Grundlagen unseres Berufes notwendig ist. Wir hören auch in uns selbst hinein, um unseren eigenen Standpunkt kritisch zu hinterfragen. Unsere Zusammenarbeit mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist von Wertschätzung, Offenheit und ernsthaftem Interesse für deren Anliegen getragen. Wir organisieren unsere Arbeit und, soweit wir dazu berufen sind, die unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter initiativ und zielgerichtet.
Art. IV. Ausbildung:
Eine engagierte Ausbildungsarbeit ist unabdingbarer Bestandteil eines optimalen Auswahlverfahrens, aber auch eines positiven Bildes der Justiz in der Öffentlichkeit. Jene, die uns in der Ausbildung anvertraut sind, bilden wir gewissenhaft und umfassend aus.
Art. V. Justizverwaltung:
Auch im Rahmen der uns übertragenen Justizverwaltungsaufgaben arbeiten wir im Dienste der unabhängigen Rechtsprechung. Wir bemühen uns, die bestmöglichen organisatorischen Rahmenbedingungen für die unabhängige richterliche Tätigkeit zu schaffen und zu erhalten. Wir sind bestrebt, die dafür notwendigen Fähigkeiten zu erwerben.
Art. VI. Fairness:
Richterliche Unbefangenheit umfasst auch die Fähigkeit, eigene Vorurteile zu erkennen und auf die Wirkung eigener Worte und Handlungen auf andere zu achten. Wir begegnen Verfahrensbeteiligten sachlich, respektvoll und äquidistant und gewähren ihnen ausgewogen Gehör. Diskriminierende Haltungen und Äußerungen im Verfahren weisen wir bedingungslos zurück.
Art. VII.  Entscheidungsfindung:
Jede Person, die das Gericht anruft oder einer Straftat beschuldigt vor Gericht steht, darf von uns erwarten, dass wir uns sorgfältig mit ihrem Fall befassen und eine qualitätsvolle Entscheidung treffen. Dabei nehmen wir uns soviel Zeit wie nötig und entscheiden so zügig, wie es unsere Arbeitsbedingungen zulassen. Wir vermeiden es, den Parteien durch Zweifelsucht und Ängstlichkeit oder durch Beharrung auf unwesentlichen Förmlichkeiten Nachteile zuzufügen.
Art. VIII. Öffentlichkeit und Verständlichkeit:
Die Rechtsprechung setzt zuweilen auch über den Einzelfall hinaus gesellschafts- und rechtspolitische Impulse. Sie braucht die Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit. Wir bemühen uns daher, in unseren mündlichen und schriftlichen Äußerungen allgemein verständlich zu sein.
Art. IX. Außerdienstliches Verhalten:
Wir prüfen sorgfältig und kritisch, ob uns unsere Handlungen oder Äußerungen in die Gefahr von Abhängigkeiten bringen oder auch nur einen solchen Anschein erwecken können. Dies gilt auch für unser privates Verhalten, soweit wir damit rechnen müssen, dass dadurch in der Öffentlichkeit unsere Glaubwürdigkeit als Richterinnen und Richter infrage gestellt werden kann. Wir sind überzeugt, dass der Beitritt zu einer politischen Partei oder parteipolitische Tätigkeiten einer Richterin oder eines Richters der Glaubwürdigkeit der unabhängigen, parteipolitisch unbeeinflussbaren und nicht an Interessenverbände gebundenen Gerichtsbarkeit schaden können.
Art. X. Gesellschaftliche Einflüsse:

Das Richteramt ist ein fundamentaler Bestandteil unseres gesellschaftlichen Gefüges. Richterliche Arbeit beeinflusst dieses Gefüge, wird aber auch von ihm beeinflusst. Wir sind uns bewusst, dass richterliche Entscheidungen tiefgreifende  Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse der Menschen haben. Wir achten daher bei der Ausübung unseres Amtes stets auf diese Zusammenhänge und gehen mit unserer Verantwortung gewissenhaft um.

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